„Die Liebe und ihre Feinde“ (Teil IX): Wieso eine Fernbeziehung besser sein kann als zusammen zu leben
Moderne Partnerschaften sind oft hektisch. In vielen von ihnen gibt es kaum persönliche Gespräche, immer ist alles andere wichtiger und das Smartphone geht stets vor.
Manche Paare halten das alles für völlig normal. Sie kommen gar nicht auf die Idee, dass hinter ihren nervenaufreibenden Streits oder der lustlos gewordenen Sexualität ein ganz einfacher Grund liegt: Sie brauchen mehr Zeit miteinander. Und füreinander. Sie sind viel zu selten füreinander da, interessieren sich kaum für den Anderen und für sein Leben. Und beide merken es nicht.
Bei anderen Paaren aber fehlt einem von beiden schon lange etwas – zumeist der Frau. Sie fühlt sich nicht mehr richtig verbunden mit ihrem Partner. Oft fehlt ihr neben der Sexualität vor allem – das Gespräch. So ergeht es gerade Luise.
Keine Zeit füreinander
„Ach, was war das schön, als du in Stanford warst und ich in Hamburg“, sagt Luise zu Karl. Sie ist 37 Jahre alt, Mutter von zwei Kindern. Die beiden sind wegen Eheproblemen in die Beratung gekommen. Karl ist verdutzt über Luises Satz. Ihm hat das damals gar nicht gefallen. Mein Gott, wie selten sie sich in der Zeit gesehen haben! Was war so schön an „Stanford und Hamburg“?
Luise gibt die Antwort: „Wir haben jeden Tag eine Stunde über Skype miteinander gesprochen!“
Ihr fehlt heute im Alltag der beiden vor allem das Gespräch. Das gibt es mittlerweile kaum noch. Anderes ist wichtiger. Ihm die Arbeit. Ihr die Kinder. Beiden ihre Hobbys und Freunde. Natürlich sind Mara (2) und Raffael (5) auch seine Kinder. Aber da er morgens um 8 Uhr aus dem Haus geht und abends zwischen 21 Uhr und 23 Uhr zurückkommt, sind es nur theoretische auch ‚seine’ Kinder. Ganz praktisch bleibt von Montag bis Freitag alles was die Kinder betrifft an Luise hängen.
Kommt Karl endlich nach Hause, ist Luise entweder schon im Bett oder liegt müde und frustriert auf dem Sofa. Jetzt ist es viel zu spät für ein gutes Gespräch. Morgen muss sie zeitig raus, muss sich um die Kinder kümmern, sie in die Kita bringen und dann schnell zur Arbeit. Sie hat einen anstrengenden Halbtagsjob, zwei quirlige Kinder – aber keinen Mann.
Erkenntnis Nummer Siebzehn: Das partnerschaftliche Gespräch darüber wie es uns geht und was uns widerfährt ist der absolute Kern einer Beziehung – ebenso wie die Sexualität. Ohne das gute Gespräch, wird jede Beziehung unlebendig. Und in der Folge oft auch die Sexualität.
Natürlich hat der Mangel an Gespräch, an Interesse für und Zeit mit dem anderen auch bei Luise und Karl Folgen für die Sexualität. Sie ist selten geworden. „Ein Mal im Quartal“, sagt Luise. Das reicht nicht um ein glückliches Paar zu sein. Um das zu verstehen, muss ich Luise gar nicht erst auf die entsprechenden Forschungen hinweisen. Sie spürt es ohnehin.
Bei Karl ist das anders. Er denkt, die Partnerschaft müsse auch ohne das Gespräch und ohne Sex gut sein. Wie kommt er nur darauf?
Karl ist in Bezug auf seine Partnerschaft ganz offensichtlich kein Realist. Er hält etwas für möglich, was nach den Erkenntnissen der Wissenschaft (und nach meiner Erfahrung als Paarberater) schlicht nicht möglich ist.
Karl ist nicht der einzige Mann in meiner Praxis, der sich so verhält. Viele von ihnen haben sich schon wie Karl geäußert und haben bedauert, dass ihre Frauen sich nicht einfach damit begnügen, dass Gespräche nicht mehr stattfinden und dass es keinen Sex mehr gibt. Muss sie denn so ein Problem daraus machen, dass er oft erst um 22 Uhr von der Arbeit kommt und sie müde und geschafft und frustriert von seiner ständigen Abwesenheit auf dem Sofa vorfindet?
Ich denke, sie muss. Weil es ein Problem ist. Karl denkt da anders. In Bezug auf menschliche Gefühle ist Karl – in meinen Augen, wie in den Augen seiner Partnerin – sehr irrational. Karl lässt seine Frau mit der gesamten Arbeit die zwei Kinder nun mal machen alleine. Und er hat in der Woche keine Zeit für sie. Keine Zeit für das Gespräch mit ihr. Keine Zeit, sich abends vor dem Einschlafen noch an sie zu kuscheln.
Was denkt Karl über die Liebe?
Karl ist Physiker. Es ist nach seinen Stationen in der Wissenschaft in der optischen Forschung für ein großes Unternehmen tätig. Im Beruf ist er sehr realistisch. Was für ihn zählt, das sind Experimente, Machbarkeit, Resultate. Aber niemals „Ansichten“ oder „Vermutungen“.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig rational Männer wie Karl in Liebesdingen denken. Karl hat erkennbar kaum Wissen von Gefühlen. Er weiß nicht, dass Liebe aus positiver Zuwendung besteht. Er sieht nicht einmal, dass seine Liebe vor seinen Augen zerbröselt. Luise hat ihn in die Beratung geschleppt. Er hält das für unnötig.
Karls Ansichten von der Liebe tragen erkennbar mit zum Unglück von Karl und Luise bei. Ich werde ihm vom Stand der Forschung berichten, werde ihm erklären, was menschliche Bindungen aufrecht erhält – Anerkennung, Wertschätzung, Respekt, füreinander Dasein – und werde hoffen, dass Karl begreift, dass seine Ansichten einer rationalen Überprüfung nicht standhalten. Ich werde ihn immer wieder darauf hinweisen, dass es das Gespräch ist, das einer Partnerschaft Halt und Stabilität gibt.
Erkenntnis Nummer Achtzehn: Wir brauchen das Gespräch in der Partnerschaft, um uns miteinander verbunden zu fühlen. Intimität entsteht, weil wir uns für den anderen und sein Wohlergehen interessieren. Jeden Tag. Tun wir es nicht, dann tun es möglicherweise andere. Dann nehmen sie im Leben unseres Partners oder unserer Partnerin den Platz ein, den wir innehaben sollten. Mit allen Gefahren für die Beziehung, die das nach sich zieht.
Wir neigen in unserer Kultur nicht dazu, etwas über die Liebe wissen zu wollen. Besonders stark ausgeprägt ist das Unwissen über die Liebe bei Männern. Sie halten sich für rational. Geht es um die Liebe, dann sind sie genau das nicht.
Karl hat sein ‚Wissen’ über die Liebe aus Kinofilmen. Nein, nicht aus Liebesfilmen – aus Actionfilmen. In jeden dieser Filme ist rund ein Prozent an Liebeshandlungen eingebaut. Auf 700 Minuten „Herr der Ringe“ gibt es 7 Minuten in denen nicht gekämpft wird, in denen Frodo nicht den Ring in Richtung des Schicksalsberges nach Mordor trägt und Gollum sich nicht über seine ganz spezielle Liebe, die Liebe zu dem mächtigsten aller Ringe auslässt. Stattdessen gibt es in diesen sieben Minuten – die Liebe. Die Liebe Aragorns zu Arwen. Die Liebe von Eowyn zu Aragon. Die Liebe von Eowyn zu ihrem Vater Theoden.
Karl lächelt gerne über Menschen, die ihr physikalisches ‚Wissen’ zum Beispiel über das Weltall, über Galaxien und Sonnensysteme aus Filmen wie Star Wars oder Raumschiff Enterprise beziehen. Seine eigene Blindheit in Sachen Liebe aber ist ihm nicht bewusst. Schade. Etwas mehr echtes Wissen über die Liebe würde ihm gut tun. Darum geht es in der kommenden Woche. Im neunten Teil der Serie über die Feinde der Liebe.
Dieser Text ist, wie alle Beiträge der Reihe „Die Liebe und ihre Feinde“, zunächst auf den Seiten von welt.de erschienen.
Teil I: Die Liebe und ihre Feinde
Teil II: Warum Partnerschaften wirklich scheitern
Teil III: Wieso es in schwierigen Partnerschaften vor allem an positiver Zuwendung fehlt
Teil IV: Wieso wir uns auf das konzentrieren sollten, was in einer Beziehung gut läuft
Teil V: Kritik ist ein Beziehungskiller. Warum wir in einer Beziehung nicht versuchen sollten, die Dinge auszudiskutieren.
Teil VI: Wieso wir uns Zeit füreinander nehmen müssen, wenn die Liebe halten soll – auch Zeit für den Sex
Teil VII: Wenn der Sex selten wird, dann schwindet auch die Liebe – dagegen lässt sich etwas tun
Teil VIII: Wieso das Smartphone das Verbundenheitsgefühl eines Paares beeinträchtigen kann
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Ich finde die Artikel in herzenssache365.de immer sehr spannend und lehrreich. Dieser Artikel ist besonders treffend. Der Stress als werktätige Mutter und der Einfluss von Action-Filmen ist sehr gut dargestellt. Das Verbreiten des Standes der Forschung gibt Hoffnung. Nicht nur in der Paarbeziehung sondern auch in der Team-Arbeit sind Anerkennung, Wertschätzung und eine gute Kommunikation sehr wichtig für Erfolge und ein positives Lebensgefühl.