„Die Liebe und ihre Feinde“ (Teil VIII): Wieso das Smartphone das Verbundenheitsgefühl eines Paares beeinträchtigen kann

 

Nur fünf Minuten in der Woche sprechen manche Paare noch über persönliche Dinge. Darüber, wie es ihnen geht. Darüber, was sie bewegt und beschäftigt. Das ist das Ergebnis einer Studie, die amerikanische Ethnologen in Los Angeles machten. Wir haben das im letzten Beitrag gesehen. Diese Partnerschaften werden von innen heraus unterhöhlt. Das Verbundenheitsgefühl nimmt in ihnen ab. Weil immer alles andere wichtiger ist.

Nachrichten von der netten neuen Kollegin

 

Bei alledem war vom Smartphone, das heute stets und ständig die Aufmerksamkeit auf sich zieht – weg vom Partner oder der Partnerin – noch gar nicht die Rede. Auch das Smartphone und zunehmend auch die Smartwatch reduzieren die Zeit, die Paare exklusiv für sich und ihre Liebe haben.

Wie bei Angela (42). Beim Mittagessen blinkt am Sonntag eine Mail der netten neuen Kollegin auf der Smartwatch ihres Mannes Thomas auf. Das passiert im Tagesverlauf noch zwei Mal. Abends um viertel nach zehn schreibt die Kollegin ein letztes Mal: „Wie fandest du denn den Tatort?“ Jedes Mal wenn eine Nachricht reinkommt, ist die Kollegin Thomas wichtiger als die eigene Partnerin. Natürlich hat er die Wahl. Er kann seine Frau wichtiger finden als die Kollegin. Tut er es nicht, dann hat das Folgen für seine Partnerschaft.

„Wenn ich ihn darauf anspreche, reagiert er gereizt und sagt, dass er sich nur gut mit ihr versteht und dass es seine Freiheit sei“, sagt Angela. „Er hält mir vor, eifersüchtig zu sein und redet tagelang nicht mehr mit mir. Ich komme mir überflüssig vor und habe innere Unruhe und friere. Ich schaffe es nicht, das einfach zu ignorieren.“

 

Ist die Kollegin wirklich nur eine gute Bekannte?

 

Eine Frau die Sonntag abends nach dem Tatort unbedingt noch wissen will, wie ein Arbeitskollege den Film fand, ist eine Gefahr für Angelas Ehe. So einfach ist es schon. Ihr ist das klar. Deshalb hat sie „innere Unruhe“ und „friert“.

Noch gefährlicher als das Verhalten der Kollegin scheint mir allerdings das Verhalten von Thomas. Er findet es völlig in Ordnung, am Sonntagabend nach dem Tatort nicht etwa mit seiner Frau über den Film zu sprechen oder vielleicht, vielleicht auch mal mit ihr zu kuscheln. Er möchte stattdessen lieber mit der netten Kollegin per WhatsApp schreiben. Und seine Frau soll sich mal nicht so haben.

Die Diagnose: Bei Thomas und Angela herrscht die Smartphone-Krankheit. Das Smartphone bzw. die Smart Watch ist Thomas wichtiger als seine Frau. Stets und immerzu. Und das ist gefährlich für ihre Ehe.

 

Ist er untreu?

 

Mit der netten Kollegin hat Thomas möglicherweise nichts. Wenn sie allerdings so nett ist, dass er immerzu Zeit für sie hat, auch noch Sonntags spät, dann würde ich dazu anmerken: Er hat noch nichts mit ihr. Aber sie ist ihm ja jetzt schon erkennbar wichtiger als Angela. Er riskiert sogar die gute Stimmung mit seiner Frau – der netten neuen Kollegin zuliebe. Und ganz streng genommen ist das schon eine Form der Untreue. Ohne Sex und ohne Liebesschwüre.

 

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Wie alles anfing

 

Es war Mitte der 90er Jahre, als ich das erste Mal gesehen habe, wie ein Paar beieinander stand und der Mann ausdauernd mit seinem Handy telefonierte. Seine Frau stand derweil ziemlich blöd an seiner Seite. Die beiden befanden sich an einem bitterkalten, grauen Novembertag auf einem ziemlich windigen Nordseestrand. Sie froren. Es war kalt, viel zu kalt, um stehen zu bleiben.

Zu der Zeit waren Gespräche mit einem Handy sehr teuer und in der Regel machten nur Geschäftsleute so etwas. Die Frau musste warten. Das Gespräch war wichtiger. Es war wichtiger als sie.

Schon dieses Erlebnis vor über zwei Jahrzehnten ließ für Partnerschaften nichts Gutes ahnen. Mittlerweile haben wir keine Handys mehr – wir nutzen stattdessen Smartphones. Die machen nicht nur Gespräche möglich und SMS, sondern auch noch Nachrichten über Mail, WhatsApp, Facetime und Facebook-Messenger. Wir bleiben auch nicht mehr stehen, um mit dem Smartphone zu telefonieren, wie damals. Heute gehen wir einfach weiter. Das haben wir mit der Zeit gelernt.

Da es so unendlich einfach ist, Menschen auch in ihrem Urlaub noch zu erreichen, dringt die Arbeit und ihre Probleme (oder die nette neue Kollegin von Thomas) auch noch in den letzten Winkel unser früher einmal exklusiven, freien Zeit mit dem Partner – in den Urlaub.

Auf diese Weise ist das Smartphones heute in vielen Beziehungen die klare Nummer eins. Selbst beim romantischen Sonnenuntergang auf La Gomera checkt Thomas demnächst schnell noch seine Nachrichten (auch die von der netten Kollegin) – während Angela ihn gerne ganz alleine für sich haben möchte. Und danach wird er ihr vorwerfen, ohne jeden Grund eifersüchtig zu sein und im Übrigen sei es „seine Freiheit“ mit der Kollegin zu schreiben. Auch im Urlaub. Sie sehen: Den schönen Sonnenuntergang auf La Gomera können die beiden sich sparen. Sie werden ihn nicht mehr zu zweit genießen – weil andere stets dabei sind.

 

Was ist phubbing?

 

Das Smartphone geht immer vor – es gibt sogar schon ein Wort für diese Form des Verhaltens: Phubbing. Phubbing ist ein Kunstwort, dass aus den englischen Worten phone und snubbing gebildet wurde. Snubbing steht für Missachtung. Phubbing ist also eine Form der Missachtung von Menschen die uns nahe stehen. Andere sind ständig wichtiger. Wir aber kommen uns überflüssig vor, haben innere Unruhe und frieren. Wie Angela. Verständlich.

Phubbing hat auch zwischen Eltern und Kindern stark zugenommen. Die Hälfte aller Mütter denen ich im Park begegne missachtet ihre Kinder – mit dem Smartphone. Die Väter ebenso. Und das tun sie zum Teil auch dann, wenn die Kinder aus dem Kinderwagen zu fallen drohen oder auf den Fahrradweg laufen. Das Smartphone ist den Eltern wichtiger. Auch die Unfälle auf Spielplätzen nehmen zu. Die Eltern sind mit anderen Dingen beschäftigt – und ignorieren ihre Kinder.

 

 

Die dritte Stufe der Eskalation – die Smartwatch

 

Nun haben wir mit der Smartwatch die dritte Stufe erreicht. Selbst beim Gespräch am Mittagstisch oder kurz vor dem ins Bett gehen gibt es extrem wichtige Meldungen – direkt auf die Smartwatch. Auch das führt zu phubbing. Nun ist die neue Kollegin von Thomas zu jeder Zeit präsent. Selbst wenn Angela mit Ihrem Mann schon im Bett liegen, kommt demnächst noch eine Nachricht von ihr. Thomas kann dann im Dunkeln noch kurz auf den Nachttisch greifen und schauen, was die nette Kollegin ihm geschrieben hat.

 

 

Stellt sich die Frage: Hört das dann endlich auf? Die Antwort lautet: Nein. Auch danach, wenn Sie sich nach dem Tatort und dem Zubettgehen noch zum gemeinsamen Kuscheln entschließen, geht es mittlerweile bei vielen Paaren weiter mit dem phubbing. Mehr als die Hälfte aller Smartphone-Nutzer hat auch schon beim Sex auf eingehende Nachrichten geschaut.

 

 

Knigge für Smartphones und Smartwatches

 

Smartphones müssen ausgeschaltet werden, wenn wir etwas von unserem Partner oder unserer Partnerin haben wollen. Reicht das?

Nein, es reicht nicht. Die Wissenschaft hat längst erwiesen, dass selbst ein ausgeschaltetes Smartphone seinen Besitzer ablenkt, wenn es noch auf dem Tisch liegt. Schon dann wandern die Gedanken eines Smartphone-Besitzers (und die einer Smartphone-Besitzerin) immer wieder zu den Mails, den WhatsApp-Nachrichten und all den anderen Versuchungen der sozialen Medien. Und damit in Angelas Fall zu der netten Kollegin die offensichtlich so einsam ist, dass sie am Sonntag nichts besseres zu tun hat, als regelmäßig Nachrichten an ihren schrecklich netten Kollegen zu schicken.

Erkenntnis Nummer Sechzehn: Smartphones müssen ausgeschaltet und weggelegt werden, wenn wir das genießen wollen, was den Kern einer guten Beziehung ausmacht: Exklusive Zuwendung. Wir sind voll und ganz für den Anderen da, für seine Gedanken, für seine Wünsche und für seine Sorgen. Oder wir genießen den Sonnenuntergang nur mit ihm. Exklusiv.

 

Verliebte machen das alles intuitiv genau so. Sie haben bei einem romantischen Sonnenuntergang auf La Gomera nicht das Bedürfnis, sich mit irgendeiner Kollegin auszutauschen. Für sie zählt nur der andere. Und das genießt der natürlich ganz besonders.

Sie sehen, es hilft, sich ab und an wieder an die tolle Zeit der Verliebtheit zu erinnern. Sie ist so wunderbar, weil wir von Verliebtheitshormonen überflutet werden – zugegeben. Sie ist aber auch deshalb so wunderbar, weil wir so viel Zeit und Aufmerksamkeit auf den Anderen verwenden. Auch das hebt unsere Stimmung und schafft das Gefühl von Verbundenheit.

 

Keine Zeit für die Liebe

 

Zeit und Aufmerksamkeit sind die beiden wichtigsten zwischenmenschlichen Ressourcen. Alle Beziehungen zu anderen Menschen (Eltern, Kinder, Freunde, Partner) beruhen darauf, dass wir diese beiden Ressourcen auf sie verwenden, Wenden wir Zeit und Aufmerksamkeit auf anderen, dann haben wir eine gute Chance, dass der Kontakt zu ihnen gute bleibt. Haben wir hingegen keine Zeit und sin nur selten aufmerksam für unser Gegenüber – dann leiden all Formen des Zusammenlebens. Auch die Liebe.

Das war natürlich schon immer so. Auch in der Zeit vor dem Smartphone waren Männern und Frauen oft andere und anderes wichtiger. Er ging fünf Mal in der Woche in den Chor – das war wichtig. Wichtiger als sie. Sie telefonierte bei jeder Gelegenheit mit ihren Freundinnen. Die waren wichtiger. Und GZSZ sowieso. Die Sendung war heilig – niemand durfte sie in der Zeit stören.

 

Was kann Angela tun?

 

Die Umgangsformen in Angelas Partnerschaft sind derzeit in einer Schieflage. Sie sollte eine klare Ansage machen. Das Smartphone oder die Smartwatch kann zu vereinbarten Zeiten genutzt werden. Danach sind beide wieder aus und aus dem Blick. Und ab 20 Uhr ist ohnehin Partnerschaftszeit – und keine Zeit mehr für die Kollegin. Diese Regeln würden Angela helfen und ihre innere Unruhe dämpfen. Weil sie wieder für mehr Verbundenheit mit Thomas sorgen.

Die Zuwendung zum Partner ist der Kern einer jeden Beziehung – die exklusive Zuwendung. Ohne jede Störung. Wir brauchen die volle Aufmerksamkeit des Anderen, nicht nur bei romantischen Sonnenuntergängen, sondern vor allem auch im Gespräch. Denn das Gespräch ist – neben der Sexualität – der Kern einer guten Partnerschaft. Aber das ist schon wieder ein neues Thema. Und um das kümmern wir uns in der kommenden Woche. Im neunten Teil der Serie über die „Feinde der Liebe“.

 

Dieser Text ist, wie alle Beiträge der Reihe „Die Liebe und ihre Feinde“, zunächst auf den Seiten von welt.de erschienen. 

Teil I: Die Liebe und ihre Feinde
Teil II: Warum Partnerschaften wirklich scheitern
Teil III: Wieso es in schwierigen Partnerschaften vor allem an positiver Zuwendung fehlt
Teil IV: Wieso wir uns auf das konzentrieren sollten, was in einer Beziehung gut läuft
Teil V: Kritik ist ein Beziehungskiller. Warum wir in einer Beziehung nicht versuchen sollten, die Dinge auszudiskutieren.
Teil VI: Wieso wir uns Zeit füreinander nehmen müssen, wenn die Liebe halten soll – auch Zeit für den Sex
Teil VII: Wenn der Sex selten wird, dann schwindet auch die Liebe – dagegen lässt sich etwas tun

 

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