Liebe ist die beste Therapie

 

Sandy ist Paartherapeutin. Charlotte und Steve sind ihre Klienten. Die beiden sind bereits getrennt, wollen aber schauen, ob sich die Ehe wiederherstellen lässt.

Lässt sich die Ehe der beiden wiederherstellen? „Die Chancen sind eins zu tausend“, sagt Sandy zu Steve – was ihm die Tränen in die Augen treibt. Aber er will das unbedingt. Also treffen sich die drei Woche für Woche bei Sandy und sitzen dort auf drei Ikea-Sesseln, die in einem Dreieck angeordnet sind. Und reden – über Gefühle.

 

„Sandy drehte sich wieder zu Steve um. Hemd und Hose waren ordentlich gebügelt, und seine Schuhe glänzten. Er versuchte, die Fassade seines Lebens aufrechtzuerhalten. Aber er hatte tiefe Augenringe, und seine Hände zitterten.

„Was in mir vorgeht?“ fragte Steve zögerlich, als hätte er kein Recht, über seine Gefühle zu sprechen. „Ich bin gerade Teilhaber einer großen Private-Equity-Firma geworden, aber trotzdem geht’s mir so dreckig wie noch nie. Ich habe seit Tagen nicht mehr geschlafen.“

Er verstummte und betrachtete Charlotte, als wolle er kurz Bilanz ziehen. Wer war diese Frau? Er schien sich nicht mehr ganz sicher. Sie ist eine wunderschöne, schlaue Eisprinzessin, und du hast es leider so richtig verbockt, dachte Sandy bei sich.“

 

Charlotte und Steve haben zwei Kinder und arbeiten an ihren Karrieren. Dabei haben sie sich kaum umeinander gekümmert. Anderes war stets wichtiger. Das hatte Folgen. Erst ist Steve untreu geworden. Dann hat er Charlotte über die Untreue belogen. Zwei gravierende Vertrauensbrüche. Kann Charlotte darüber hinwegkommen? Dann hat Charlotte ihrerseits auch den Weg in die Untreue eingeschlagen. Der neue, Bill, hört ihr zu. Die Gespräche mit ihm sind wunderbar. Das hat ihrem Ego erkennbar gut getan. Und es hat die Machtbalance möglicherweise wiederhergestellt. Aber die Ehe natürlich nicht. Dafür soll jetzt Sandy sorgen.

 

„Sandy konnte Abmachungen nicht ausstehen. Abmachungen sorgten für Stagnation, fand sie. Warum sollte man den Status Quo solch einer Ehe erhalten wollen? Warum waren die beiden denn sonst hier, wenn nicht, um gründlich etwas zu ändern?“

 

Immer wieder wandern die Blicke von Charlotte und Steve zu dem vierten Sessel im Raum, einem auffälligen, grünbezogenen Sessel im viktorianischen Stil. Wozu steht er da? Er steht für die Ehe, um die es in der Beratung geht und die so oft außer Acht gelassen wird, wenn jeder nur noch sich selber sieht. Sandy ist gleichsam ihre Vertreterin. Ist sie Anklägerin? Richterin? Sind Steve und Charlotte die Angeklagten?

Eher nicht. So funktioniert Paarberatung und Paartherapie nicht. Sandy klagt nicht an und sie richtet auch nicht. Sandy gibt Hinweise. Das ist ihr Job. Sandy vertritt hier die Ehe und weist unerbittlich auf die Realitäten hin. Auf die Realitäten einer Ehe. Auf die Gefühle die Steve und Charlotte bewegen und die sie sich nur ungerne mitteilen. Beide, Charlotte wie Steve brauchen diese Hinweise. Sie müssen eine Menge ändern, bis wieder Nähe entstehen kann zwischen ihnen.

 

„Dachte Steve überhaupt genug nach, reflektierte er seine eigenen Handlungen, war er zu Veränderungen bereit? Schrieb er spätnachts Gedichte? Malte er? War ihm bewusst, wie wunderschön die Stadt zu dieser Jahreszeit war? Sie sah zu Charlotte hinüber. Und du, bist du bereit für Veränderungen? Dir fällt das Ganze vielleicht sogar noch schwerer als ihm, Prinzessin, überlegte sie.“

 

Steve wird seinen 8-Zylinder-Mercedes mit dem röhrenden Sound gegen ein deutlich praktischeres Auto eintauschen – in dem er die beiden Kinder besser mitnehmen kann wenn er sie am Wochenende bei sich hat. Er arbeitet im Bereich der Geldanlage – viel Geld zu verdienen ist ihm enorm wichtig. Geld spielt bei diesem Paar also keine Rolle. Es ist da – so wie das Unglück, das die beiden sich im Laufe der Jahre erschaffen haben.

Soziologen nennen die Zeit zwischen dem 30. und dem 40. Lebensjahr die Rushhour des Lebens. Alles soll auf einmal passieren. Die Karriere, eine Liebe finden, Kinder bekommen, ein Haus bauen. Bei dieser Rushhour sind die Gefühle von Charlotte und Steve nicht beieinander gewesen. Sie haben sich nicht berührt. Jeder war auf seinem Planeten. Sandy führt sie langsam, Stück für Stück zusammen.

John Jay Osborn ist ein anrührender Roman gelungen, der die Probleme, die in einer Paarberatung oder Paartherapie zur Sprache kommen, deutlich benennt. Wo warst du, als ich dich gebraucht habe? Warum habe wir uns voneinander abgewandt? Können wir einander noch einmal vertrauen nach diesem Verrat?

Ja, vielleicht können sich Charlotte und Steve noch einmal vertrauen und können lernen füreinander da zu sein. Obwohl ihre Chance nur eins zu tausend ist.

 

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