Ich habe die Paare um mich herum, die mir glücklich erschienen, immer aufmerksam beobachtet, um von Ihnen zu lernen. Mit einem dieser Paare bin ich seit langem befreundet. Sie heißen Luna und Leon. Luna hat sehr jung Leon geheiratet, mit ihm Kinder bekommen und hat mit ihm seit fast 15 Jahren eine (wie mir scheint) stabile Beziehung geführt. Die Situation von Luna und Leon hat sich mittlerweile stark verändert. Luna ist meine Freundin und braucht mich oft als Gesprächspartnerin. Wenn wir miteinander sprechen, geht es bei ihr fast ausschließlich um folgende Situation: Luna und Leon haben sich mit einem Ehepaar mit Kindern in gleichem Alter aus dem Ort angefreundet. Sie heißen Karsten und Kristin. Die vier Erwachsenen als auch die Kinder verstehen sich sehr gut. Mittlerweile arbeiten Kristin und Leon zusammen. Die Geburtstage, Partys im Ort oder Anlässe, wie zum Beispiel Sylvester feiern sie gemeinsam. Auch die Urlaube verbringen Sie grundsätzlich gemeinsam als zwei Familien. Die Kinder haben bereits (wohl im Scherz) ausgesprochen, dass sie zwei Muttis und zwei Papis haben.
Im Alltag lebt jedes Ehepaar bzw. Familie für sich. Karsten und Luna hatten vor einem Jahr eine kurzweilige Affäre, welche sie Kristin und Leon gestanden haben. Während Luna und Leon die Affäre zumindest (so scheint es mir) offen bearbeitet haben, wird sie bei Karsten und Kristin eher verkürzt bearbeitet. Seit der Affäre kommunizieren alle vier aber – sowohl in ihrer jeweiligen Ehebeziehung als auch in der Viererkonstellation – dass sie die das andere Ehepaar mehr als nur „Freunde“ lieben.
Luna ist meiner Meinung nach verliebt in Karsten, aber würde niemals ihren Ehemann Leon verlassen. Sie akzeptiert, dass ihr Ehemann Leon nach einem Arbeitstag mit Überstunden zuerst zu Kristin und dann nach Hause zu ihr und den eigenen Kindern fährt. Luna ist sehr gut mit Kristin befreundet. Leon ist mit „seinen zwei Frauen“ glücklich. Er akzeptiert, dass Luna und Karsten miteinander schreiben. Mit Karsten ist er sehr gut befreundet. Auch Karsten würde niemals seine Ehefrau Kristin verlassen, obwohl er den Kontakt zu Luna pflegt. Kristin hat ihrem Ehemann nach der Affäre gesagt: Sie entscheidet sich für die „Viererkonstellation“. Die Vier haben ihren Familien bereits von „dem anderen Ehepaar“ erzählt. Die Familien reagieren mit Unverständnis, was die Vier neutral akzeptieren. Auch mir fällt es schwer, zu verstehen, wie sich dieses Beziehungsgeflecht gestaltet. Ich denke an Polygamie oder eine ausgewachsene Krise. Mein Hauptproblem ist aber: Ich weiß nicht wie ich mit meiner Freundin Luna sprechen kann. Sie akzeptiert die emotionale Affäre ihres Ehemannes in Austausch gegen ihre eigene emotionale Affäre. Davon halte ich nichts. Was kann ich tun, um für meine Freundin trotzdem da zu sein?
Zunächst einmal bin ich mir nicht sicher, ob die Verhältnisse in denen sie leben allen vier Beteiligten klar sind. Wenn ich es richtig verstehe, dann fühlen sich beide Frauen zu beiden Männern hingezogen. Und beide Männer zu beiden Frauen. Ich habe noch von keinem Fall gehört, in dem das lange gut gegangen ist. Und das hat einen einfachen Grund: Die Anziehung die sie verspüren, hat viel mit Wünschen an den eigenen Partner zu tun, Wünsche, die den Beteiligten möglicherweise nicht so ganz klar sind und die auch nicht ausgesprochen werden. Und damit werden sie auch nicht erfüllt.
Oft geht es bei solchen Wünschen um eher einfache Dinge: Anerkennung, Wertschätzung. Wir wollen vom Partner oder der Partnerin gesehen und verstanden werden. Passiert das nicht oder nicht mehr ausreichend – dann sind wir anfällig für Anerkennung und Wertschätzung von einem außenstehenden Dritten. Noch etwas fällt an Ihrer Schilderung auf: Üblicherweise geraten Paare mit Kindern zwischen dem zehnten und fünfzehnten Beziehungsjahr in so eine Krise. Ihre Freunde passen also ziemlich gut in dieses Muster hinein. Und so kommt es zu Untreuesituationen.
Ein Mann der nach der Arbeit als erstes zu einer Anderen fährt und dann erst zu seiner Frau, der hat seine Prioritäten deutlich gemacht. Es würde mich nicht wundern, wenn das Gefühlsleben der vernachlässigten Frau darauf reagiert. Sie ist nicht die Nummer Eins. Das gefällt dem Gefühlsleben in der Regel nicht. Gut möglich, dass sie dafür als Ausgleich Besuch von dem Mann der Frau bekommt oder zumindest ein paar zugewandte, verständnisvolle WhatsApps.
Ist Ihre Freundin verliebt, dann heißt die Regel: Sie können nichts tun
Damit haben beide Frauen und beide Männer innerlich die Seite gewechselt. Sie befinden sich in einer Untreuesituation – ohne das aber so zu benennen. Stattdessen verstehen sie ihre Situation als eine Art Ehe zu Viert. Ich will das jetzt nicht moralisch bewerten. Moralisch ist alles in Ordnung, was den Beteiligten nutzt. Sprich: Was ihnen gut tut. Und genau das tut es in aller Regel nicht. Wenn ich von meiner Frau nicht bekomme, was ich mir wünsche, dann bedeutet eine Hinwendung zu einer anderen Frau Instabilität und das Risiko der Trennung.
Die seelischen Verletzungen, die Konstellationen wie die beschriebene oft nach sich ziehen, sind hoch. Und alle merken das erst nach Jahren. Wenn es hinter ihnen liegt. Leidtragende sind dann auch die Kinder, die ihre Freunde verlieren.
So viel zur Situation selber, in der Ihre Freundin lebt. Doch nun zu Ihnen und zu der Frage, was Sie tun können. Ist Ihre Freundin verliebt, dann heißt die Regel: Sie können nichts tun. Ich bedauere das, muss aber gestehen, dass auch ich als Berater einem Verliebten noch nie helfen konnte, einerlei, wie aussichtslos seine Verliebtheit auch immer war.
Ihre Freundin ist in der Ehe emotional unterversorgt
Die Verliebtheit Ihrer Freundin bedeutet, dass sie in der Ehe emotional stark unterversorgt ist. Ich spreche auch gerne von einer Mangelernährung. Man muss und darf sich das gerne bildlich vorstellen. Ist die Liebe ein Mensch, dann säße er ausgemergelt und mit strähnigen Haaren neben Ihrer Freundin. Ein Bild des Jammers. Aber so ungeschminkt sehen Paare ihre Beziehung in aller Regel nicht. Sie reden sie sich schön und glauben immer noch, es sei alles noch immer so wie früher.
Wenn Sie eine gute Freundin sein wollen, dann haben Sie jetzt die Wahl zwischen zwei Vorgehensweisen. Erstens: Sie geben Ihrer Freundin recht. Das tun wir oft und gerne. Das ist der Kern der meisten Freundschaften. Zweitens: Sie sagen ehrlich, was wir sehen. Sie sagen ihr also, wie ungepflegt und ausgemergelt die Liebe die sie führt bereits ist. Dieses Vorgehen birgt ein Risiko. Ihre Freundin könnte sauer auf Sie werden. Sie könnte sich im schlimmsten Fall auch von Ihnen abwenden. Denn – sie ist verliebt.
Ich kann Ihnen die Entscheidung nicht abnehmen, finde aber, dass Sie alles Recht dieser Welt haben, bei der Wahrheit zu bleiben, also bei dem, was Sie wahrnehmen. Und bei den Gefahren, die das birgt. Möglicherweise können Sie ja versuchen, Ihre Freundin zu einer professionellen Beratung zu bewegen. Eine Freundschaft ist eine Freundschaft – und keine Beratung. Um keinen Beitrag mehr zu verpassen, bestellen Sie doch einfach den Newsletter! So werden Sie jedes Mal informiert, wenn ein neuer Beitrag erscheint!
Großartiger Kommentar ! Das Bild mit der Mangelernährung ist brillant. Werde ich mir merken. „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“.
Danke lieber Christian Thiel.
Danke. Das Lob für das Bild mit der Mangelernährung der Liebe muss ich allerdings weiterreichen an den Schriftsteller John Jay Osborn. Er benutzt es in seinem Roman „Liebe ist die beste Therapie“.
Ich habe den Roman mal hier auf dem Blog besprochen: https://herzenssache365.de/soll-ich-bleiben-soll-ich-gehen/
Die beschriebene Situation beobachte ich in meinem Umfeld auch hin und wieder. Familien, die in meinen Augen ein zu enges Verhältnis zu anderen Menschen und Familien pflegen. Man hängt (zu) oft aufeinander, geht miteinander in Urlaub und begründet das u.a. damit, dass man „gut befreundet“ ist und wie gut die Kinder sich verstehen. Für mich ist da die familiäre Intimität und die Beziehungsordnung gestört.
Erst der Partner, dann die Kinder, dann lange nichts. Freunde kommen erst viel später.