Mein Mann hat mir nach zwölf Jahre Ehe eröffnet, dass er polyamor ist und dass es eine zweite Frau in seinem Leben gibt. Nun fährt er seit einem halben Jahr zweigleisig – ich wollte ihm nicht den Stuhl vor die Tür stellen, denn wir haben zwei Kinder. Zuletzt ist die andere Frau allerdings fremdgegangen. Ihn hat das völlig aus der Bahn geworfen und er befindet sich jetzt auf eigenen Wunsch in der Psychiatrie. Ich kann mir da keinen Reim drauf machen – er wollte doch unbedingt mehrere Frauen lieben. Darf die Frau das dann nicht auch?
Ganz ehrlich: Ich kann mir auf die von vielen gepriesene Polyamorie auch keinen Reim machen. In der Regel verläuft es so ungefähr wie bei ihnen: Eine Ehe läuft nach vielen Jahren nicht mehr so gut. Einer der beiden sucht sich einen Geliebten oder eine Geliebte. Jeder geht seiner Wege und hat seine Abenteuer. Ab den 70er Jahren nannte man das die „offene Ehe“. Sie wurde kein Erfolgsmodell, war sie im Kern doch oft nur eine Notlösung für ein ganz anderes Problem: Das Paar hatte sich auseinandergelebt – nur reichte der Mut nicht zu einer Trennung.
Seit einigen Jahren ist von der „offenen Ehe“ kaum noch die Rede. Jetzt heißt das Konzept „Polyamorie“ und Menschen die in ihrer aktuellen Beziehung nicht glücklich sind finden im Internet die angeblich passende Erklärung: Sie sind polyamor und Treue ist ohnehin nicht möglich. So muss es Ihrem Mann ergangen sein.
Ich habe tatsächlich auch schon von glücklichen polyamoren Paaren gehört. Bei den meisten war das allerdings keine Dauerlösung.
Sein Ego ist durch die Untreue der Geliebten regelrecht kollabiert
In der Praxis der Beratung erlebe ich allerdings eher das was Sie schildern: Die Konstellation fordert Menschen und ihr Gefühlsleben aufs Äußerste. Das hat mit den Ängsten zu tun, verlassen zu werden. Das hat auch damit zu tun, dass wir die Hinwendung eines geliebten Menschen zu einem anderen Menschen nicht einfach gelassen und souverän hinnehmen – sondern als schere Kränkung erleben.
Genau das scheint Ihrem (angeblich polyamoren) Mann passiert zu sein. Er war der festen Überzeugung, ein neues Lebensmodell gefunden zu haben. Wie sich nun herausstellt ist das aber nicht wahr. Wahr ist: Sein Ego ist durch zwei Frauen sehr leicht aufzubauen. Damit geht es ihm gut. Und wendet sich eine der beiden Frauen dann einem anderen zu, dann kollabiert sein Ego regelrecht.
Das hat auch damit zu tun, dass er – zumindest in meinen Augen – ganz traditionell eine Geliebte gesucht und gefunden hat, als Ergänzung zur Ehefrau. Die Polyamorie dient nur als ein Deckmantel dafür.
In meinen Augen hat Ihr Mann seine Gefühle komplett missdeutet. Weder versteht er, dass er sich einer anderen zuwendet, weil er mit der bestehenden Beziehung unzufrieden ist. Noch begreift er, dass er mit zwei Frauen in eine extrem komplizierte Lage gerät. So ein Modell ist so gut wie nie für längere Zeit stabil. Und leider versteht er auch nicht, was das alles für die beiden Frauen bedeutet die er jetzt hat. Auch für sie ist die Lage ja nicht einfach. Zu guter Letzt versteht er auch nicht, dass er durch die Untreue seine innere Heimat verliert und dass er sich deshalb in großer Gefahr befindet. In der Gefahr, psychisch zu kollabieren.
Dreiecksgeschichten sind nervlich sehr anstrengend
In der Praxis der Beratung haben Dreiecke wie das Ihre (die Geliebte hat jetzt zu seinem großen Erstaunen ein Viereck daraus gemacht) eine ganz unangenehme Eigenschaft: Im Verlauf so eines Dreieckes sind nach meiner Beobachtung in der Regel alle drei Beteiligte zu irgend einem Zeitpunkt nervlich so angeschlagen, dass sie sich knapp vor der Einweisung in die Psychiatrie befinden.
Warum wissen wir das alles nicht? Weil die Medien liebend gerne über die angeblichen Vorzüge der Polyamorie schreiben statt über die harte Realität von Untreue, von Dreiecksverhältnissen die aus dem Ruder laufen und von Menschen die sich selber in die Psychiatrie einweisen, weil sie mit dem unglaublichen Durcheinander an Gefühlen und Verlustängsten nicht mehr zurecht kommen.
Ich kann Ihnen nur raten, möglichst bald den Absprung von diesem Mann einzuleiten. Das ist nicht einfach, so angeschlagen wie er jetzt ist. Sie sollten sich trotzdem möglichst bald auf Ihr eigenes Leben konzentrieren. Es geht um Sie und um die Frage, wie es für sie weitergehen soll. Ihr Mann muss das Chaos dass er angerichtet hat alleine klären. Möglicherweise kommt er noch auf die Idee, dass es die Unzufriedenheit mit der bestehenden Beziehung war, die ihn zur Polyamorie brachte. Möglicherweise lernt er, dass es seine Aufgabe als Ehemann ist, Unzufriedenheit auszusprechen – mit Ihnen, seiner Ehefrau. Sehr wahrscheinlich ist das allerdings nicht.
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Was für ein ehrlicher Beitrag;)
Alles Gute
Kaja