Mein Mann und ich (43) haben uns in den letzten Jahren sehr auseinander gelebt. Es gab wenig persönliche Gespräche, stattdessen sehr viel Alkoholkonsum auf seiner Seite und, wie ich heute denke, eine eher lieblose und geschäftsmäßige Sexualität. Im Grunde ging es dabei vor allem um ihn. Ich war der Überzeugung, dass ich Sex nicht mehr wirklich brauche. Dann hat ein Arbeitskollege angefangen, mir Komplimente zu machen. Als wir schließlich im Bett landeten, kam für mich die große Überraschung: Die Sexualität war unglaublich gut. Ich habe so etwas mit meinem Mann noch nie erlebt. An manchen Tagen hatten wir fünf Mal Sex und ich habe das wahnsinnig genossen.
Seit mein Mann von meinem Geliebten weiß sind wir formal getrennt. Er hat sich gründlich geändert. Er trinkt keinen Alkohol mehr und kümmert sich liebevoll um die Kinder. Beides war mir immer sehr wichtig. Nun denke ich doch wieder darüber nach, ob es nicht eine Zukunft an seiner Seite geben könnte. Was denken Sie?
Ich möchte bei Ihrer sehr spannenden Geschichte gerne mit der Sexualität anfangen. Sie haben gleich drei Fehler gemacht. Erst haben Sie sich mit sich selber auf so eine Art ‚Pflichtsex‘ geeinigt. Pflichtsex ist Sex als Dienstleistung am Mann – mit wenig emotionaler Beteiligung Ihrerseits. Und mit wenig Freude für Sie. Das hat Ihrem Gefühlsleben nicht gefallen (was ich gut verstehen kann). Und das hat Sie zu dem Schluss verleitet, dass Sie gar keine Sexualität mehr brauchen.
Ich höre den Satz „Ich brauche das nicht mehr“ oder aber den Satz „Ich habe gedacht, ich brauche das nicht mehr“ nahezu jede Woche. Er hat noch nie gestimmt. Er ist in meinen Augen eine Art Selbstbetrug. Ich höre diesen Satz übrigens genauso häufig von Männern wie von Frauen. Kein Geschlechtsunterschied. Männer wie Frauen die in einer unglücklichen Partnerschaft leben, betrügen sich selber, verschließen die Augen vor dem Ausmaß ihres Unglücks und versuchen es mit ‚Pflichtsex“, mit seltenem Sex oder mit beidem.
Zwei Männer sind weniger als einer
Der dritte Fehler war der Flirt mit dem Kollegen. Männer wie Frauen die in unglücklichen Beziehungen leben, sind empfänglich für Komplimente und für ein offenes Ohr. Aus dieser emotionalen Zuwendung erwächst die Bereitschaft, es auch mit körperlicher Zuwendung zu versuchen. Das ist nicht unverständlich, führt aber in der Regel zu weiteren Problemen.
Jetzt haben Sie zwei Männer – und zwei Männer sind weniger als einer (für zwei Frauen gilt das selbstverständlich auch). Das liegt an der großen Zerrissenheit die das nach sich zieht. Die ist bei Ihnen mit Händen zu greifen. Sie haben einen Mann, der der Vater Ihrer Kinder ist (auf der einen Seite) und einen, mit dem es unglaublich guten Sex gibt (auf der anderen Seite). Das führt bei den meisten Menschen dazu, dass das Herz keine Heimat mehr hat.
Diese Zerrissenheit fühlt sich für die meisten Menschen ausgesprochen qualvoll an. Sie wissen genau, dass Sie sich entscheiden müssen. Aber wie? Oder genauer: Für wen?
Ich kann Ihnen diese Entscheidung nicht abnehmen. Sie müssen sie treffen. Ich kann Sie allerdings auf ein Problem hinweisen, dass Sie möglicherweise noch nicht sehen. Mit einem Lover tollen (und häufigen) Sex zu haben, das ist ausgesprochen leicht. Was aber passiert, wenn der Lover zum Partner wird? Ihre Zuschrift gibt darauf einen Hinweis. Sie haben es in Ihrer Ehe mit einem enormen Maß an Anpassung versucht. Sie haben das Trinken Ihres Mannes akzeptiert. Das war der größte Fehler überhaupt. Statt zu sagen: „Der Alkohol oder ich“, haben Sie die Augen vor der zerstörerischen Wirkung des Alkohols auf unser Gefühlsleben verschossen. Alkohol ist nach Lage der Forschung für über 50 Prozent der Trennungen in langjährigen Ehen verantwortlich.
In Ehen mit einem trinkenden Partner verliert das Gegenüber mit der Zeit den Respekt
Wie einfach es war, Ihren Mann vom Alkohol abzubringen, sehen Sie an dem, was nach der Trennung passiert ist. Sie wenden sich einem anderen Mann zu – und Ihr eigener Mann trinkt von dem Tag der Trennung an nicht mehr.
In Ehen mit einem trinkenden Partner verliert das Gegenüber mit der Zeit den Respekt. Das wirkt sich dann stark auf die Sexualität aus. Der Weg in den Alkohol zieht bei den allermeisten Paaren ‚Pflichtsex‘ oder eine weitgehend versiegende Sexualität nach sich. An dieser Stelle hätten Sie die Reißleine ziehen können – aber gutmütig wie Sie sind, haben Sie sich für schlechten und für Sie unbefriedigenden Sex entschieden.
Ich kann nun keinen Grund erkennen, warum Sie die gleichen Verhaltensweisen – „ich passe mich gerne an und setze mich dabei über mein Gefühlsleben hinweg“ – nicht auch in der Beziehung mit dem nächsten Mann an Ihrer Seite anwenden sollten. Menschen bleiben sich im Verlauf ihres Lebens sehr treu. Sie nehmen ihren Charakter ja in die nächste Beziehung mit.
Ich würde Ihnen also eher raten, sich auf Ihren Anteil an der Ehekrise zu konzentrieren
Deshalb traue ich dem guten Sex den Sie mit Ihrem Lover derzeit haben nicht wirklich. Im Alltag einer Beziehung kann der sich über die Zeit sehr deutlich wandeln. Das tut er ohnehin. Fünf Mal Sex am Tag, so etwas berichten frisch Verliebte mit verklärten Augen. Im Alltag einer Partnerschaft erwartet das niemand. Um die Sexualität so zu erhalten, dass wir zufrieden sind, müssen Sie sich in der Beziehung angemessen für Ihre Wünsche und Bedürfnisse einsetzen. Genau das ist Ihre Achillesferse.
Statt sich zu fragen welcher der beiden Männer der Richtige ist, würde ich Ihnen raten, sich auf die Frage zu konzentrieren, was Sie anders machen müssen, damit Ihre Beziehungen langfristig glücklich und stabil bleiben. Das Buch „Die Vermessung der Liebe. Vertrauen und Betrug in Partnerschaften“ (John Gottmann) kann dabei ein guter Ausgangspunkt sein. Ich würde Ihnen also eher raten, sich auf Ihren Anteil an der Ehekrise zu konzentrieren. Was ist Ihr Beitrag zur Krise? Ihr Mann sollte das gleiche tun.
Zudem brauchen Sie möglicherweise professionelle Hilfe durch eine Paarberatung, wenn Sie beide Ihrer Ehe noch einmal eine Chance geben wollen. Ich als Berater bin natürlich dafür, eine Ehe, eine Familie zu erhalten. Wenn es denn überhaupt möglich ist. Unser Gefühlsleben ist die alles entscheidende Instanz in dieser Frage. Wer es Jahre mit einer schlechten Beziehung und mit Pflichtsex frustriert, dem kann es passieren, dass es am Ende keinen realistischen Weg zurück mehr gibt.
Besteht nicht die Gefahr dass der Ehemann wieder mit dem Trinken anfängt wenn der Geliebte weg ist?
Doch, die Gefahr gesteht ohne Frage. Auch deshalb wäre es gut, wenn die Frau bereit wäre dem Mann klar zu sagen: Der Alkohol oder ich. Ich hatte schon einige Fälle von hohem Alkoholkonsum in der Beratung. Ohne eine solche Ansage geht es in der Regel nicht.
danke für diesen sehr interessanten fall und antwort. es steckt für mich sehr viel drin, was grundsätzliche wahrheiten über uns und unsere beziehungsgestaltung und unseren umgang mit uns selber angeht. habe ihn mit neugier und begeisterung gelesen und mit meinem partner geteilt!