Hans (62) hat Erektionsprobleme. Seit einem halben Jahr schon hat er beim Sex keine Erektion mehr. Sein Penis schwillt zunächst zwar an, wird dann aber, bevor er richtig steif werden würde, schon wieder schlapp. Zunächst hat Hans versucht, seine neue Freundin Monika (58) davon zu überzeugen, dass eine Partnerschaft auch ohne Sex eine ganz schöne Sache sein kann. Monika hat sehr ablehnend auf diesen Vorschlag reagiert. Sie hat stattdessen darauf bestanden, dass er zum Arzt geht. Und so sitzt Hans jetzt im Wartezimmer einer urologischen Praxis, die auf Erektionsprobleme spezialisiert ist. Und wartet, dass er aufgerufen wird.

 

Für die Pharmaindustrie ist die Sache völlig klar: Bekommt ein Mann über einige Zeit keine Erektion mehr, dann sind körperlich Gründe die Ursache. Durchblutungsstörungen. Klare Sache.

Für Männer die keine Erektion mehr bekommen oder eine sehr unvollständige, ist die Sache auch klar. Nichts fürchten sie mehr, als psychische Erklärungen für den Vorgang. Kommen sie in die Beratung zu einem Spezialisten, zum Beispiel einem Urologen, dann ist die ausgesprochene oder unausgesprochene Hoffnung: Es soll, bitte, bitte eine körperliche Ursache geben. Und am liebsten auch eine Tablette, die dem ganzen Spuk ein schnelles Ende bereitet.

So treffen sich die Bedürfnisse von Pharmaunternehmen und Männern die das Nachdenken scheuen. Eine Tablette muss her – fragt sich jetzt nur noch: Welche?

So eine Erektion ist schon eine wundersame Sache. Wie aus dem nichts schwillt der Penis einfach an. Und angeblich kommt sie bei allen Männern problemlos zustande. Immer. Gibt es aber Probleme, dann nimmt das Ego des Mannes schweren Schaden. So gesehen ist die Pharmaindustrie ein wahrer Segen für das männliche Selbstwertgefühl. Schafft sie doch unablässig neue Erkenntnisse herbei für die angeblichen körperlichen Ursachen von Erektionsproblemen.

Keine Frage: Es gibt sie, Männer die aufgrund von Erkrankungen wie zum Beispiel Diabetes, Bluthochdruck und Adipositas auch körperlich Schwierigkeiten mit der Erektion bekommen. Das ist unstrittig. Klar ist aber auch, dass die Pharmaindustrie kein glaubwürdiger Lieferant ist für Zahlen über die körperlichen oder seelischen Gründe von Erektionsproblemen. Sie hat erkennbar ihre eigenen Interessen.

 

 

Gunnar und Rieke

 

Wie stellt sich das alles nun für Paar- und Sexualberater dar? Völlig anders, keine Frage. Beraterinnen und Berater bekommen in der Regel nur Männer zu Gesicht, denen körperlich nichts fehlt, jedenfalls nichts, was einer Erektion im Wege steht. Und da diese Männer den Weg in die Beratung gegangen sind, ist ihr Bedürfnis, dass Erektionsprobleme unbedingt körperlich verursacht sein sollen, erheblich geringer.

Körperlich fehlt ihnen nichts, und trotzdem bekommen diese Männer keine Erektion mehr. Wie peinlich! Keine Erektion zu haben, das ist der Inbegriff von männlichem Versagen. Ein Mann kann immer und will immer – und wenn er kann und will, dann hat er auch eine Erektion. Die Überzeugungen von Männlichkeit lassen für eine andere Sicht kaum  Raum. Viele Männer verzichten deshalb lieber auf Sexualität, als sich der Gefahr auszusetzen, keine Erektion zu bekommen. So wie der 32-Jährige Elektroingenieur Gunnar.

Gunnar und Rieke sind ein ausgesprochen junges Paar. Gunnar ist 32, Rieke 30 Jahre alt. Paare kommen nur in die Beratung, wenn sie eine schwere Ehekrise haben. Und obwohl sie gerade einmal fünf Jahre zusammen sind, scheinen die beiden schon an diesem Punkt angekommen zu sein. Rieke hält es nicht mehr aus mit Gunnar. Sie ist verzweifelt, denn die beiden haben keinen Sex mehr.

Seit wann? „Seit wir unsere Tochter Merle gezeugt haben“, sagt Rieke mit trauriger Stimme. Danach hat Gunnar den Sex verweigert, anfänglich mit der Begründung, seine Tochter solle von ihm nicht als erstes „seinen Penis sehen“. Schon dieser Gedanke alleine reichte aus, um seine Erektion zu beenden. Hier deutet sich an, dass für Gunnar Sex und Elternschaft nicht zusammen passen. Die Schwangerschaft, für viele Paare eine hohe Zeit ihrer Sexualität, bei Rieke und Gunnar wird sie zu einer sehr lieblosen und einsamen Zeit.

Die Zeit der Schwangerschaft ohne Sex zu verbringen und ohne Zärtlichkeiten (Zärtlichkeiten ohne Sex, davon hält Gunnar nichts), das alleine kann ein Paar seine Beziehung kosten. Wieviele Abende hat Rieke sich nach Gunnars Händen auf ihrem Körper gesehnt? Wie oft lag sie abends noch traurig wach und lauschte auf seine gleichmäßigen Atemzüge? Oft, sehr oft. Und manchmal hat sie sich in den Schlaf geweint und doch immer wieder gehofft, dass dieser Albtraum einfach vorbei ist – zum Beispiel nach der Geburt. Doch auch danach ändert sich nichts. Gunnar will keinen Sex mehr – mit wechselnden Begründungen.

Bleibt noch die wichtige Frage: Wie lange geht das schon so? Oder, in anderen Worten, wie alt ist Merle? Die Antwort: zweieinhalb. Gunnar und Rieke haben also bereits seit über drei Jahren keinen Sex mehr.

In Gunnars Verweigerung der Sexualität vom Moment der Schwanger-schaft an, schwingt ein Grund für sexuelle Abstinenz mit, der mit unserem Bild von Sexualität zu tun hat. Unsere Vorstellung von Sex verknüpft Erotik in der Regel eng mit der ledigen, kinderlosen Frau. So zelebrieren es wieder und wieder auch Hollywood-Filme. Hemmungs-lose Sexualität, das geht dann nur mit ihr – nicht aber mit „der Mutter meiner Kinder“.

 

Wie häufig sind Erektionsprobleme?

 

Wie verbreitet sind Probleme mit der Erektion? Das kommt darauf an, wie man ein Erektionsproblem definiert. Umgangssprachlich ist die Sache klar: Hat ein Mann Probleme, eine Erektion zu bekommen, dann hat er ein Erektionsproblem. Nun ist aber nichts so leicht zu irritieren, wie eine Erektion. Schon alleine der Gedanke „Hoffentlich klappt es diesmal aber!“ reicht aus – und die schönste Erektion ist wieder vergangen. Der Kopf ist ja immer mit von der Partie beim Sex. Bei Erektionsproblemen ist er der wichtigste Störenfried.

In diesem Sinne hat nahezu jeder Mann im Laufe seines Lebens irgendwann einmal Probleme mit der Erektion. Er möchte gerne eine haben – aber sein Körper tut ihm nicht den Gefallen. Oder die Sorgen „Hoffentlich habe ich heute eine Erektion“ sorgen einmal mehr dafür, dass er keine hat. Versagt ein Mann mehrfach hintereinander, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich seine Versagensängste so sehr vergrößern, dass eine Erektion dauerhaft nicht mehr zustande kommt. Der Misserfolg nährt den Misserfolg. So wie bei Gunnar. Irgendwann wollte er einfach nicht mehr.

 

 

Hans und Monika

 

Und was ist mit Hans? Der sitzt mittlerweile schon im Sprechzimmer des Arztes. Der hat ihm einige Fragen gestellt und hat schnell festgestellt: Manchmal hat Hans morgendliche Erektionen, wenn er aus dem Schlaf erwacht. Ein biologischer Grund für seine Erektionsprobleme ist mithin eher unwahrscheinlich.

Dann hat der Arzt noch versucht herauszufinden, was vor einem halben Jahr im Leben von Hans los war, in der Zeit also, als die Erektionsprobleme begannen. Hans ist damals mit Monika zusammengezogen. Hans sehnte sich sehr danach, wieder in einer festen Partnerschaft zu leben, abends neben ihr einzuschlafen und morgens gemeinsam zu frühstücken, bevor er zur Arbeit geht. Vor dem Zusammenzug gab es keine Probleme mit der Erektion. Die stellten sich erst danach ein, zwei Monate nach dem Umzug.

Der Arzt hat Hans ein wenig länger in die Augen geschaut und hat ihn dann gebeten, einen Termin mit einer Psychologin zu vereinbaren, die gleich neben dem Urologen ihre Praxis hat. Gut möglich, dass Hans sich von seiner neuen Freundin zu oft kritisiert fühlt. Oder dass sie nicht gerade einfühlsam reagierte, als er zum ersten Mal keine Lust auf Sex hatte, sie aber schon – das sind zwei der wichtigsten Gründe, weshalb Männer die Sexualität meiden. Auch bei Erektionsproblemen spielen sie oft eine Rolle. Hans Probleme mit der Erektion sind in einer guten Beratung zu lösen. Im Gespräch – und ganz ohne Tabletten.

 

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Mehr über die Frage, wie Sie in Ihrer Partnerschaft mehr Sex und besseren Sex genießen können, erfahren Sie im Online-Workshop „Intimität und Sexualität“. Der nächste Workshop startet am 5. November 2018.

 

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