Eine Single-Geschichte von CHRISTIAN THIEL

Mein erster Korb traf mich völlig unerwartet und warf mich aus dem Gleis. Wir saßen in einem gemütlichen, kleinen Restaurant. Regina – so hieß meine Verabredung – war zwei Minuten nach mir gekommen und hatte mich so strahlend angelacht, dass ich dachte, die Sonne würde scheinen. Es war Ende Februar und in Wirklichkeit hingen draußen dunkle Regenwolken am Himmel.

Ich hatte mir die Wahl des Ortes nicht leicht gemacht. Drei Tage lang hatte ich Cafes und Restaurants in der Stadtmitte ausprobiert. Die meisten kamen für eine erste Verabredung nicht in Frage. Entweder war die Musik zu laut oder die Bedienung war unhöflich. Manchmal kam beides zusammen. Am Ende hatte ich ein ruhiges Restaurant gefunden, dass auf spanische Küche spezialisiert war. Die Flamenco-Musik war dezent und die Bedienungen hatten lange, weiße Schürzen und ein freundliches aber professionelles Lächeln.

Ich bestellte eine Fischsuppe, Regina einen gemischten Vorspeisenteller. Ihre Augen strahlten mich verheißungsvoll an, ihr Mund war sinnlich geschwungen und die brünetten Haare fielen ihr sanft bis über die Schultern. Ich fühlte mich wie ein 15-Jähriger bei seiner allerersten Verabredung und fragte mich immerzu: „Wie um alles in der Welt kann ich dieser Frau gefallen?“ Wie sich schon bald herausstellen sollte, hätte ich mir diese bange Teenagerfrage sparen können. Ich hatte bei ihr keine Chance.

 

 

Wir unterhielten uns, ein wenig gezwungen vielleicht, über ihre Arbeit (sie war Dolmetscherin), über den letzten Kinofilm von Woody Allen (wir hatten ihn beide gesehen) und über das trübe Wetter. Schließlich kam das Essen, meine Befangenheit ließ endlich nach und als ich gerade begann, mich zu entspannen und, ja, fast ein wenig wohl zu fühlen in dieser für mich ungewohnten Lage, da sagte Regina: „So, ich muss dann mal wieder los.“ Sie zahlte. Ich sah sie verdutzt an und brachte ein schüchternes „Und, sehen wir uns wieder?“ hervor.

„Irgendwie ist der Funke nicht übergesprungen“, sagte sie und war schon aus der Tür. Ich schaute in den trüben Rest meiner Fischsuppe. Mir war der Appetit vergangen.

Draußen nieselte es leise vor sich hin. Trotzdem entschloss ich mich, zu Fuß bis nach Hause zu laufen. Bewegung macht den Kopf frei, dachte ich. Noch auf dem Weg rief ich Monika an. Sie ist meine beste Freundin und war vor sechs Jahren zum letzten mal Single. Fast ein Jahr hat es gedauert, bis sie ihren Klaus gefunden hatte. Seither gilt sie in ihrem Freundeskreis als Expertin für die Partnersuche. „Körbe zu bekommen“, erklärte Monika in einem Ton, der ein wenig dozierend klang, „Körbe zu bekommen gehört leider zu den absehbaren Folgen der Partnersuche. Was hast du denn erwartet? Dass die erste Frau, die du triffst, dir gleich um den Hals fällt?“

Mir war nicht nach solch abgeschmackten Witzen zu Mute. Natürlich hatte ich nicht damit gerechnet, dass Regina mir um den Hals fallen würde. Das wäre ja noch schöner! Aber in dieser Art und Weise abserviert zu werden, nach gerade einmal 50 Minuten, das tat weh.

Eine leeren Cola-Dose stand am Rande des Gehwegs. Ich versetzte ihr einen heftigen Tritt. Ich fand Monikas Reaktion herzlos. „Nun mach aber mal einen Punkt. Ein bisschen mehr Mitgefühl könnte ich schon brauchen! Ich habe gerade eine empfindliche Niederlage zu verkraften“, raunzte ich zurück. Dann drückte ich die Taste mit dem roten Punkt und stampfte weiter durch den Nieselregen.

 

 

Wenn ich gewusst hätte, dass die Partnersuche zu solchen Erlebnissen führt, hätte ich gar nicht erst damit angefangen. Und schon gar nicht hätte ich eine Kontaktanzeige aufgegeben – das war ein Rat von Monika gewesen. Überhaupt hatte sie gut reden. Monika war ja gut versorgt. Ihr Klaus war nett, dass musste ich zugeben.

Drei Straßenecken weiter rief ich Monika wieder an. An den Schultern hatte der Regen inzwischen meine Jacke durchweicht. Ich spürte die Nässe bereits auf der Haut. Monika und ich waren unterdessen beide zu dem Schluss gekommen, dass wir uns entschuldigen sollten. Wir verabredeten uns für den nächsten Abend, um mein weiteres Vorgehen bei der Partnersuche zu besprechen.

„Die meisten Menschen gehen gar nicht erst auf die Suche“, begann Monika unser Gespräch. „Und weißt du warum?“ Ich schaute sie ratlos an. Sie wartete nicht auf eine Antwort. Sie hatte einmal wieder eine Theorie. „Sie wollen Niederlagen wie du sie gestern erlebt hast vermeiden. Sie wollen einfach keinen Korb bekommen – weil es sie zu sehr kränken würde. Und vor lauter Angst einen Korb zu bekommen, vermeiden sie jeden Flirt mit ungewissem Ausgang – und verpassen so die Liebe.“

So hatte ich das noch nie gesehen. So wollte ich das wohl auch nicht sehen, denn Monikas Theorie warf ein paar sehr unbequeme Fragen für mich auf. Hatte ich vor lauter Angst vor einem Korb auch immer vermieden, aktiv auf die Suche zu gehen? Hatte ich mich seinerzeit nur deshalb auf Karin eingelassen – meine Verflossene – , weil ich deutlich spürte, das sie mich wollte? Hatte ich am Ende immer diejenige bekommen, die sich eben gerade für eine Partnerschaft anbot?

Eine solche Sicht der Dinge würde einiges in meinem dunklen Liebesleben erhellen. Meine Beziehungen waren allesamt Katastrophen gewesen. Niemand mit klarem Verstand hatte daran je einen Zweifel gehabt. Nur meine Cousine Angelika fand alle meine Freundinnen „suuuupernett“ und war jedes Mal tieftraurig, wenn eine meiner Beziehungskatastrophen mit der Zuverlässigkeit einer schweizer Präzisionsarmbanduhr nach drei Jahren die zu erwartende Implosion erlitt.

 

 

„Was hat dir denn an deiner Dolmetscherin gefallen?“, wechselte Monika das Thema. Ich antwortete ihr kurz und prägnant, schwärmte von Reginas langen, brünetten Haaren, von dem strahlenden Lachen, dem sinnlichen Mund, von der Art, wie sie nachdenklich die Gabel hielt und mir dabei zuhörte und von ihren großen, aufmerksamen Augen, als ich erzählte, dass ich mir den Woody-Allen-Film im Original angeschaut hatte. Nach einer viertel Stunde war ich mit meiner Antwort fertig und schaute Monika erwartungsvoll an.

„Regina sah also gut aus, hat aufmerksam deinen Erklärungen gelauscht und mag Woody-Allen-Filme“, straffte Monika meine Ausführungen in einen einzigen Satz .

„Ja“, sagte ich, ein wenig perplex über ihre kurze und pointierte Zusammenfassung.

„Und sonst?“, setzte sie nach, „Was sprach denn dafür, dass sie auch zu dir passt?“

Woher sollte ich das denn wissen! Ich hatte die kürzeste Verabredung aller Zeiten hinter mir – wahrscheinlich fand ich mich in der nächsten Ausgabe des Guinness-Buch der Rekorde wieder – und Monika wollte wissen, ob Regina zu mir passt. „Genau um das herauszufinden wollte ich mich ja noch einmal mit ihr treffen“, antwortete ich, leicht gereizt.

„Wenn zwei Menschen aufeinander treffen, dann entscheidet sich innerhalb von Sekunden oder Minuten, ob sie sich sympathisch sind.“ Monika sprach wieder in einem dozierenden Tonfall zu mir. „Weißt du was ich glaube? Deine Dolmetscherin wusste lange bevor das Essen kam, dass du nicht der Richtige für sie bist. Frauen merken das oft schneller als Männer.“

„Du bist herzlos“, presste ich hervor.

„Tut mir leid“, sagte sie, jetzt in sanfterem Ton und schaute mir in die Augen. „Wenn deine Verabredung dir einen Korb gegeben hat, dann nur aus einem einzigen Grund: Sie hat gemerkt, dass ihr beiden nicht zueinander passt. Ich finde, du solltest deine verletzte Eitelkeit vergessen. Sage dir doch einfach: ´Gut, dass die Frau so schnell gemerkt hat, dass wir beide nicht zueinander passen.´ Und dann triffst du dich umgehend mit der nächsten.“

Auf dem Weg nach Hause ging mir Monikas Satz „Gut, dass die Frau so schnell gemerkt hat, dass wir nicht zueinander passen“ nicht mehr aus dem Sinn. Vielleicht hatte Monika ja Recht. Ich sollte Absagen wirklich nicht so persönlich nehmen.

 

Christian Thiel arbeitet als Singleberater in Berlin

www.singleberater.de

Körbe verteilen

 

Niemand ist schuld, wenn der Funke der Sympathie nicht überspringt. Sie suchen einen Mann, eine Frau, der/die zu ihnen passt. Der letzte Flirt ist es nicht gewesen – also auf zum nächsten. Nehmen Sie umgehend innerlich Abschied. Machen Sie es so wie der Zoll an der deutsch-österreichischen Grenze: Bewahren Sie Haltung. Blicken Sie freundlich. Schieben Sie ihre Mütze ein wenig nach hinten, damit sie die Sonne besser genießen können – und winken Sie diese Männer oder Frauen einfach mit einer betont lässigen Bewegung ihrer linken Hand durch.

Bedanken Sie sich für das Treffen. Wünschen Sie dem anderen Glück für die weitere Suche. Machen Sie ruhig ein Kompliment – Absagen lassen sich leichter schlucken, wenn sie versüßt werden. Und sie sind erheblich leichter zu erteilen, wenn man sie mit einem anerkennenden Wort verbindet. Sagen Sie also einfach: „Vielen Dank für das schöne Gespräch. Aber ich glaube, wir beide passen nicht zueinander.“ Das reicht völlig aus.

Begründen Sie Ihre Absage nie. Das wäre grob unhöflich. Der andere hatte lichtes Haar? Sagen Sie es ihm bitte nicht! Es ist ihr Problem, dass Ihnen ein solches Detail wichtig ist. Die Frau, mit der sie sich getroffen haben, hat ununterbrochen geredet und sie kamen kaum zu Wort? Ein anderer Mann hätte das vielleicht toll gefunden. Sie fanden das nicht gut und in sofern ist es wiederum Ihr Problem – und im übrigen auch nicht zu kritisieren. Lassen Sie sich also bei einer Absage bitte nie zu einer detaillierten Begründung hinreißen. Das würde Ihr Gegenüber nur verletzen.

Ein gescheiterter Flirt beweist nicht, dass alle Frauen oder Männer Sie nicht mögen. Ein gescheiterter Flirt bedeutet schon gar nicht, dass Sie niemals eine Beziehung finden werden. Verbannen Sie solche pessimistischen Gedanken. Ein gescheiterter Flirt ist bei der Partnersuche das allernormalste Ereignis.

 

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