Was können wir von dem bekannten Buchautoren und Altmeister der Psychotherapie lernen?

 

Irvin Yalom hat Menschen rund um den Globus über Jahrzehnte mit spannenden Geschichten verzaubert. Zunächst mit seinem Roman „Und Nietzsche weinte“, der den Ursprung der Psychoanalyse und damit der Psychotherapie behandelt.

Später kamen Bücher wie „Die rote Couch“ und „Das Spinoza-Problem“ hinzu. Mit seinen Romanen hat Irvin Yalom Menschen erreicht, die er mit Sachbüchern nie erreicht hätte. Durch sie, nicht durch seine Sachbücher, ist er zum wohl bekanntesten Psychotherapeuten der Welt geworden.

Die Gruppentherapie wirkt

Irvin Yalom wird in Griechenland ebenso gelesen wie im Iran, in der Türkei, in Frankreich, Deutschland oder China. Yaloms Steckenpferd war immer die Gruppen-Therapie. Viele Jahrzehnte lang hat er Gruppen geleitet, Gruppen angehört oder die Arbeit von Therapiegruppen mit seiner fachlichen Expertise gefördert.

Diese Gruppenerfahrungen gehören auch in seinem Memoiren zu den bewegendsten Schilderungen. So etwa, als sich in einer Gruppe von Krebspatienten eines Tages Evelyn über ihre Tochter beklagt:

“Ich weiß, dass ich sterbe, ich kann das akzeptieren. Es spielt keine Rolle mehr. Aber was eine Rolle spielt, ist meine Tochter. Sie vergiftet meine letzten Tage.“

Evelyn beschreibt ihre Tochter als „eine nachtragende, lieblose Frau“. Vor Monaten hatten sie eine bittere und unsinnige Auseinandersetzung gehabt, nachdem die Tochter, die für Evelyns Katze sorgte, dem Tier das falsche Futter gegeben hatte. Seither hatten sie nicht mehr miteinander geredet.

Nachdem er sie hat ausreden lassen, wendet sich Sal, ein 30-Jähriges  Gruppenmitglied mit einer tödlichen Krebserkrankung die ihn in einen Rollstuhl zwingt, direkt und leidenschaftlich an sie:

„Hör mir mal zu, Evelyn. Ich sterbe auch. Darf ich mal fragen, welche Rolle es spielt, was deine Katze frisst? Was für eine Rolle spielt es, wer zuerst nachgibt? Du weißt, du hast nicht mehr viel Zeit. Lass uns aufhören, uns etwas vorzumachen. Die Liebe deiner Tochter ist das Wichtigste auf der Welt für dich. Stirb nicht, bitte, stirb nicht, ohne ihr das zu sagen!“ (S. 243)

Sals eindringlicher Appell wirkt. Evelyn hat eine Versöhnung mit ihrer Tochter – wenige Tage vor ihrem Tod.

Was zählt wirklich in unserem Leben?

In dieser eindrucksvollen Szene zeigt Yalom zum einen, dass am langen Ende, wenn der Tod nach uns greift, nur noch eines zählt: Die Liebe. Die Liebe zu unseren Partnern und Kindern, zu unseren nächsten Angehörigen und Freunden. Viele Untersuchungen haben diese Devise „Nur die Liebe zählt“ oder auf Englisch „All you need is love“  schon bestätigt. Auch der langjährige Leiter der  berühmten Harvard-Gesundheitsstudie, George E. Vaillant, kommt zu diesem Ergebnis.

Was am Ende zählt, das ist der Zuspruch, die Anerkennung und die Wertschätzung, die wir erleben dürfen, die wir erlebt haben – oder die wir in unserer Kindheit vermisst haben.

Eine Kindheit im Armenviertel

Auch seine Kindheit in einem Armenviertel von Washington schildert Yalom in seinen Memoiren meisterhaft. Als einziges jüdisches Kind war er stets Hänseleien und Gehässigkeiten ausgesetzt. Seine Antwort war – das Lesen. Er las alle Biographien die er in der Bücherei fand, von A bis Z.

Das gelungene Leben, das ist für Yalom ein Leben voller Lernen, seine unendliche Begeisterung für die Philosophie, sein Eifer für sein Fach, die Psychotherapie – und seine Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern.

Das gelingende Leben ist für Yalom eines, das wir unbedingt ein weiteres Mal genau so leben wollen, wie wir es gelebt haben. Diese Idee hat keiner besser ausgedrückt als der Philosoph Friedrich Nietzsche, der seinen Helden Zaratustra die Formel sagen lässt, die Yalom als Schlussworte für sein eindrucksvolles Buch wählt:

 

„War das das Leben? Wohlan! Noch einmal!“

 

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Irvin Yalom – Psychotherapeut aus Leidenschaft (Sternstunde Philosophie; SWR 2014)