Meine Frau und ich sind verschieden „temperiert“, auch wenn wir uns in allen anderen wesentlichen Fragen des Lebens ganz einig empfinden. Meine Frau ist wirklich sehr cholerisch und aufbrausend und ich eher melancholisch. Wenn sie ganz ihrem Temperament gemäß „normal“ sich verhält, dann ist ordentlich Wind in der Bude. Sie regt sich über Dinge stark auf, schimpft, kocht vor Wut – dafür braucht es nicht viel Anlass. Wenn sie gestresst ist, das Ganze hoch zehn. Dann wird jeder mal angeschrien, der nicht rechtzeitig geflohen ist (wir haben 4 Kinder). Zugleich kühlt sie recht schnell wieder ab, zum Glück. Ich habe sehr viel versucht sie anzuregen, etwas zur Impulskontrolle zu unternehmen, etwa den achtsamkeitsbasierten Stressreduktionskurs. Solche Ideen stressen sie aber eher. Sehr viele Übungen, den dadurch in mir entstehenden Stress meinerseits zu reduzieren, praktiziere ich. Dennoch bitte ich Sie um Hilfe: was ist da los und was kann ich für uns tun?
Warum muss die Familie fliehen, wenn die Frau laut wird? Warum bekommt die Frau so viel Raum in der Familie für ihre Wut und lebt sie nicht so aus, dass die Familie nicht darunter leidet? Das wären meine ersten beiden Fragen. Auf Wut reagieren Menschen entweder mit Rückzug – oder mit Verteidigung. Folgt auf Wut eine ‚Verteidigung’ dann wird das von dem Wütenden eher als Angriff wahrgenommen. Und schon eskaliert die Situation noch weiter. Aus diesem Grund versuchen es viele Männer, und möglicherweise auch Sie, mit Rückzug. Sie versuchen, die Wut Ihrer Frau besser zu ertragen.
Ich habe meine Zweifel, dass das dauerhaft gut geht. Und ich habe meine Zweifel, was Ihre Kinder angeht. Sie wachsen mit einer cholerischen Mutter auf, die sich das Recht zuspricht, stets und ständig aus dem Nichts heraus wütend sein zu dürfen. Das ist für Kinder eine schwierige Erfahrung. Versteht Ihre Frau das nicht?
Ich habe ein Problem damit, wenn jemand in der Wut handelt
Ich hatte mal eine Frau in Beratung, deren Mann zu cholerischen Anfällen neigte. Das ging viele Jahre gut – bis der Sohn der Familie 13 Jahre alt wurde. An diesem Punkt wurde der Frau klar, dass das Verhältnis zwischen Vater und Sohn zerbrechen würde. Sie war bereit, ihren Mann zu verlassen, wenn er weiterhin seinen Sohn wütend attackierte. Ich kann mich an diese Beratung noch gut erinnern, denn es war die kürzeste Paarberatung die ich je hatte. Der Mann saß wie ein Häufchen Elend bei mir auf dem Sofa. Er war der festen Überzeugung, dass er Jahre an Therapie brauchen würde, um seine cholerischen Anfälle in der Griff zu bekommen.
Ich war sehr erstaunt über diese Ansicht. Ich habe keine Probleme, wenn ein Mann wütend wird. Null. Ich habe nur ein Problem damit, wenn er in der Wut handelt. In der Wut zu handeln ist Gewalt. Verbale Gewalt. Ich habe dem Paar einen Deal vorgeschlagen. Jedes Mal wenn der Mann wütend wird, dann wird die Frau in Zukunft sagen: Du bist jetzt ganz schön wütend.“ Und er wird sagen: „Stimmt.“ Und dann geht er eine Runde um den Block (oder zwei) und wartet bis er sich beruhigt hat. Und wenn er dann nach Hause kommt, dann nehmen beide sich in den Arm und sie sagt ihm, dass sie sich sehr freut, dass er in der Wut nicht gehandelt hat. Sie sagt vielleicht nur „Danke“. In jedem Fall aber bekommt eine Zuwendung dafür, dass er es unterlassen hat, verbal Ausfällig zu werden.
Der Mann war ganz erleichtert. Er wusste jetzt, dass er auch in Zukunft wütend werden würde. Und dass das in Ordnung war. Er wusste auch, dass er in Zukunft nicht mehr wütend handeln durfte – sondern sich beruhigen würde. Das Problem des Paares gelöst.
Wut ist ein Affekt und wenn sie uns im Griff hat, dann neigen wir zu Gewalt. Zu körperlicher Gewalt oder zu verbaler Gewalt.
Oft heißt es, dass Männer cholerisch sind und bei Frauen wird stattdessen gerne gesagt, sie seien „gefühlvoll“. Das ist natürlich Unsinn. Wut ist ein Affekt und wenn sie uns im Griff hat, dann neigen wir zu Gewalt. Zu körperlicher Gewalt oder zu verbaler Gewalt. So ist es bei Ihrer Frau. Und das muss aufhören. Zum Wohle der Ehe und zum Wohle der Kinder.
Ihre Frau ist gewalttätig. Punkt. Sie muss damit aufhören. Sie muss die Wohnung verlassen und sich beruhigen. Das ist alles.
Gut möglich, dass Ihre Frau weniger oft cholerisch wird, wenn sie weniger Stress hat. Auch darüber sollten Sie beide nachdenken. Gut möglich, dass sie sich Entlastung wünscht, mehr Mithilfe im Haushalt oder was auch immer. Das alles ist allerdings keine Entschuldigung für cholerische Anfälle, für verbale Entgleisungen, Beschimpfungen oder was auch immer.
Es geht in Ihrem Fall nicht um Entspannungstechniken, obwohl die möglicherweise hilfreich sein können, sondern um klare Regeln. Was geht in Ihrer Familie und was nicht? Das hat auch viel mit gegenseitigem Respekt zu tun. Und der sollte Ihnen allen wichtig sein.
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ich freue mich über diese klaren worte!
wenn ich an meine kindheit & jugend und unseren cholerischen vater zurückdenke – ich wäre sooo froh gewesen, meine mutter hätte sich den raum genommen, seine anfälle zu begrenzen!! hat sie leider nicht und wir als kinder haben jede auf ihre weise sehr gelitten. das hinterlässt tiefe narben.
damals, in den 70er und 80ern, hätte niemand einer frau zu so etwas geraten. es wurde einfach ertragen, um die familie und den schein zu bewahren.
es hilft allerdings, wenn eine person da ist, die schutz bietet. vielleicht ist das hier ein stück weit der fall.