Was tun, wenn das Paar gleich in der ersten Sitzung anfängt sich zu streiten?

Diese Frage stellen mir meine Kolleg*innen immer wieder. Und ich beobachte in meinen Paartherapiefortbildungen regelmäßig, dass in den Rollenspielen diejenigen, die das Paar spielen, mit großen Vergnügen streiten.  Sie pflaumen einander an, teilen Seitenhiebe aus, machen dem anderen Vorwürfe oder hören einfach nicht auf sich zu rechtfertigen. Dabei lassen sie sich von der Rollenspieltherapeut*in überhaupt nicht stören, der/die anfangs immer wieder versucht zu unterbrechen, bis diese*r schließlich hilflos dabei sitzt und keine Antworten auf wirklich gute und hilfreiche Fragen bekommt.

Ich muss dann immer intervenieren. Denn das, was hier gespielt wird, hat mit der Realität nichts zu tun. Wenn Paare sich entschlossen haben, mich als Paartherapeutin aufzusuchen, dann deshalb, weil es ihnen schlecht geht. Und weil sie etwas verändern müssen. Sie sind mit ihrem Latein am Ende. Alles, was sie versucht haben, um das Problem zu lösen, hat nicht funktioniert. Sie sind ratlos und erschöpft.

Im Erstgespräch zeigen sich beide Partner von ihrer besten Seite

Insofern sind beide Partner sehr motiviert. Sie knüpfen ganz viel Hoffnung an die Therapie. Sie wollen, dass die Therapeutin die Informationen bekommt, die sie braucht, um erfolgreich mit ihnen arbeiten zu können. Es ist ihnen auch wichtig, einen guten Eindruck zu machen. Schließlich wird die Beratung vermutlich angenehmer laufen, wenn die Therapeutin nicht sofort denkt, man sei eine dauerunzufriedene Meckerziege oder ein rücksichtsloser Klotz.

Und so zeigen sich beide von ihrer besten Seite. Sie hören dem anderen viel länger zu als zu Hause. Sie bleiben ruhig. Und sie lassen sich von mir stoppen, wenn der andere ein Reizthema anspricht. Es ist wirklich selten, dass jemand seinen Partner oder seine Partnerin bereits im ersten Gespräch angreift. Und noch seltener, dass sich ein Paar im ersten Gespräch nicht von mir in ihrer Auseinandersetzung unterbrechen lässt.

Das ist gut. Aus zwei Gründen. Zum einen, weil wir besser arbeiten können, und ich Antworten bekomme, die ermöglichen zu verstehen, was los ist. Und zum anderen, weil es mir zeigt, dass ich mit zwei kompetenten Menschen zu tun habe. Ganz gleich, was die beiden sagen: Sie sind nicht hier, weil sie nicht kommunizieren können. In meiner Anwesenheit gelingt es nämlich. Beide wissen also, wie es geht. Und beide haben vermutlich gute Gründe, warum sie es zuhause nicht tun. Warum sie dort diese Mühe nicht investieren wollen.

Als Therapeutin kann ich darauf zurückgreifen. Zum Beispiel, wenn die beiden in der 3. Sitzung plötzlich beginnen aufeinander herumzuhacken, nachdem ich gefragt habe, welche Absprachen die beiden mit Geld haben. „Was ist so brisant an dem, was ich gerade gefragt habe,  dass Sie beide jetzt lieber miteinander streiten anstatt mir zu antworten?“ Oder ganz oft versucht der eine den anderen in einen Streit zu verwickeln, wenn wir auf schmerzliche Wahrheiten zu sprechen kommen, die beide lieber nicht hören möchten.

Wenn die beiden in der Sitzung streiten, dann liegt es nicht daran, dass sie nicht anders können. Sondern dass sie nicht anders wollen.

Insofern lautet meine Empfehlung an meine Kolleg*innen: solange sich beide von Ihnen ernstgenommen fühlen, werden sie nicht grundlos streiten. Erinnern Sie das Paar daran, dass jeder weiß, wie man konstruktiv miteinander spricht, schließlich haben beide genau das in der ersten Sitzung getan. Sicher hat jeder sehr gute Gründe, diese Fertigkeiten jetzt nicht einsetzen zu wollen. Warum eigentlich nicht? Nach dieser Frage können Sie mit dem Paar über den Ärger und seine Gründe sprechen, anstatt zusehen zu müssen, wie die beiden ihn destruktiv austragen.

Wenn Sie selber in Ihrer eigenen Beziehung häufig streiten, dann lohnt es sich zu beobachten, ob und wie Sie beide zu bestimmten Zeiten, in bestimmten Situationen oder in der Anwesenheit von anderen besser miteinander umgehen als sonst. Wenn es diese Ausnahmen gibt (ich würde darauf wetten, dass es so ist): Warum machen Sie selbst es nicht viel öfter so? Ist Ihnen im Alltag die Mühe zu viel?  Warum eigentlich? Womit hat der oder die Liebste es verdient, schlecht von Ihnen behandelt zu werden? Könnten Sie Ihren Ärger auch anders formulieren? Nimmt Ihr Partner bzw. Ihre Partnerin Sie ernster, wenn Sie Dinge wütend im Streit äußern? Oder wenn Sie ruhig, klar und freundlich sagen, was für Sie nicht geht und was Sie sich statt dessen wünschen? Trägt Ihr Verhalten im Streit dazu bei, dass Ihre Beziehung so liebevoll wird, wie Sie es sich wünschen?

Ja, ich weiß: sich beruhigen, durchatmen, freundlich aber deutlich sagen was man will (oder auch ruhig sagen, dass man verstanden hat, was der andere will, aber man diesen Wunsch nicht erfüllen wird) – all das ist viel anstrengender (und deutlich weniger lustvoll), als das Gegenüber herunterzuputzen, zu kritisieren oder seine Vorwürfe/Wünsche als lächerlich abzutun. Sie können auch gern so weitermachen. Immerhin kommt es auf diese Weise ja immer wieder zu leidenschaftlichen Begegnungen.

Was ist Ihnen eine gute Beziehung wert?

Doch wenn Ihnen die damit verbundenen Verletzungen zunehmend Sorgen machen, werden Sie wohl irgendwann die Mühe investieren müssen und sich so verhalten, wie ein Mensch, den man ernst nimmt. Jemand, mit dem man auch schwierige Themen im Gespräch angehen kann. Immerhin habe ich auch eine gute Nachricht: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wissen Sie, wie es geht. Verhalten Sie sich einfach so, als säße eine Paartherapeutin im Raum, der Sie zeigen wollen, dass das ganze Schlamassel ganz bestimmt nicht an Ihrem Verhalten liegt!

PS: Gerade kam mein Mann und schaute mir beim Schreiben über die Schulter. Sein Kommentar: „Was tun, wenn Paare im ersten Gespräch sofort streiten? Die Antwort ist doch wohl klar. Wenn die sich unbedingt in deiner Anwesenheit zoffen wollen, dann verdoppelt sich automatisch das Honorar. Alle fünf Minuten. Bis die beiden sprachlos sind.“

Recht hat er. Im Prinzip. Allerdings können Paare mir gar nicht so viel Geld bezahlen, dass ich freiwillig bereit wäre, dabei zuzuschauen, wie sich die Partner*innen gegenseitig verletzen. Insofern müssen die sich spätestens nach dem zweiten Streit in meiner Praxis eine neue Paartherapeutin suchen, wenn sie nicht bereit sind, sich von mir unterbrechen zu lassen. Es gibt schließlich genug Paare, denen es schlecht geht und die wirklich etwas verändern wollen. Die können meine Hilfe viel besser gebrauchen.

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